ADHS & Arbeit

Da hat sich der Mensch damals bestimmt nichts Böses bei gedacht, als er sich die ganze Sache mit dem Geld ausgedacht hat, und nun haben wir den Salat: Ohne Moos nichts los. Fast jeden Tag unseres Erwachsenenlebens geht es um's Geldverdienen. Damit untrennbar verbunden ist und bleibt die Lohnarbeit. Ihr ist unser aller Leben untergeordnet, sie bestimmt, wann wir aufstehen, wann wir frei „haben“ (der korrektere Terminus wäre „sind“), wo im Sozialgeflecht wir stehen und, und dies ist eigentlich die schrecklichste Folge jener Unterjochung, wie wir uns fühlen. Selbstwert durch Arbeit, das kann im Kern nicht richtig sein. Dies erkannte ich schon, wie meine Eltern über die Jahrzehnte nicht müde wurden, als Anekdote zum Besten zu geben, im zarten Alter von 5 Jahren:

Anführungszeichen

„Ich bin doch nicht zum Arbeiten geboren!“

Arbeit zwischen Pflicht und Sinnstiftung

Klar, es gibt Pflichten, deren Erfüllung durch das eigene Verantwortungsbewusstsein, also die Vernunft, gewährleistet sein sollte. Und es ist auch nicht verkehrt, Arbeit als einen Teil zu verstehen, den man an die Gemeinschaft zurückgibt, um die Welt ein klein wenig besser zu machen. Die Sinnhaftigkeit dessen, was man sich zu tun verpflichtet hat, sollte zumindest auf dieser Ebene gegeben sein. Das sagt einer, der mal als Werbetexter Kulturmüll "noch und nöcher" produziert hat – ganz gewiss kein Job, der langfristig als sinnstiftend zu bezeichnen wäre.

Lohnarbeit, Angestelltenverhältnis, die meisten von uns werden darum nicht herumkommen. Und man kann es sich denken: ADHS macht die ganze Sache nicht gerade leichter. Tägliche Pünktlichkeit, Fristen, Deadlines und Termingeschäfte, immer wiederkehrende, schnarchlangweilige Tätigkeiten, Zwangssozialisierung mit fragwürdigen Persönlichkeiten, dazu die Klappe halten, wenn man eigentlich auf den Tisch hauen und mitteilen möchte:

Anführungszeichen

„So läuft das nicht!“

Arbeit - ein Regelwerk mit vielen Fallstricken

Für uns ADHSler kann die Arbeitswelt ein Dschungel sein. Zwar meinte ADHS-Expertin Cordula Neuhaus einst, wenn sie in den Dschungel müsste, sie würde immer einen ADHSler mitnehmen, damit sichergestellt sei, dass alle wieder heil hinausfinden. Den verworrenen Arbeitsmarkt mit all seinen Untiefen und Fallstricken hat sie damals allerdings sicherlich nicht gemeint.

Erstes Problem: das Bewerbungsschreiben. Alle Normierung fängt dort an. Man soll also ein absolut fehlerfreies, sich anpreisendes Schreiben fristgerecht abliefern, dazu noch ein angemessenes Foto, lückenlose Zeugniskopien etc. Ach ja, und der Lebenslauf sollte möglichst wenige Lücken und Brüche aufzeigen.

Nun ist die gebrochene Biografie ja quasi von ADHSlern gepachtet, ebenso ein inneres Unbehagen, was Gleichschaltung, Stromlinienform und Konvention anbelangt. All das ist nicht unser Ding. Wir können mit Querdenkertum aufwarten, auch mit Projektaffinität und der Bereitschaft, daran rund um die Uhr zu arbeiten, wenn die Bedingungen stimmen. Wir funktionieren außerdem sehr gut in Notfallsituationen, dafür ist unser Dasein im limbischen System bestens trainiert.
Immer dann, wenn die anderen panisch werden, kommt unsere große Stunde: Die Situation erfassen, entsprechend improvisieren und intuitiv entscheiden, das können wir wirklich gut.
Leider ist diese Fähigkeit in den wenigsten Berufsfeldern gefragt.

Soft Skills? Leider nicht unsere Stärke

Diplomatie, also Verhandlungsgeschick, ist auch nicht immer unbedingt unsere Sache. Meist kann man uns Stimmung und Befindlichkeit ja an den Augen, der Mimik und der Körpersprache ablesen. Pokerface klappt nur, wenn es wirklich um was geht, also um Leben-oder-Tod-Situationen, wie man sie nur noch in Western, Abenteuerfilmen und wenig realistischen Thrillern findet. Der Zivilisierung unserer Spezies sei Dank, dass wir uns nicht mehr wegen jedem Mist die Köppe einhauen. Bringen wir es auf den Punkt: Ist man in das Alter gekommen, in dem man für Lohn und Brot selber zu sorgen hat bzw. eventuell das Bedürfnis entwickelt, als ganz normales Mitglied der Gesellschaft zu leben und zu arbeiten, evtl. gar eine Familie zu gründen, fangen wir an zu straucheln.

Defizite erkennen – Chancen nutzen

Unsere Schulabschlüsse scheinen eher dürftig und spiegeln nicht im Mindesten wider, welche Vorteile ein Unternehmen davon hätte, uns einzustellen. Plötzlich ziehen all die seltsamen Schulkollegen, mit denen man schon damals nichts anfangen konnte, an einem vorbei. Es droht die Gefahr, dass man, wenn man nichts dagegen tut, in den Schattenwelten von Zeitarbeit und Werbeblattkleinanzeigen endet.
Dabei muss man sagen, dass manch einer genau aus dieser Nische heraus Großes geleistet hat, ADHS und Callcenter z. B. geht ziemlich gut zusammen.
Apropos Nische: Denkt kreativ, traut Euch was, setzt Euch sinnige Parameter, dann klappt's auch mit dem Brotjob!
Toll wäre ein bedingungsloses Grundeinkommen, das uns in die Lage versetzte, uns auszuprobieren, ohne unsere oder der Familie Existenz zu gefährden. Solange uns der Staat diese einzig vernünftige, aus dem Postkapitalismus herausführende Maßnahme aber verweigert, müssen wir mitunter Risiken eingehen, die Katze im Sack kaufen, eventuell Rückzieher machen und dies nicht als Scheitern, sondern als Erfahrung verbuchen.

Steile Karriere? Nicht zwangsläufig, aber möglich

Eine Freundin, die ich durch ihre junge Erwachsenen ADHS-Hochphase begleiten durfte, ist inzwischen Kulturredakteurin einer namhaften Wochenzeitung und jettet um die ganze Welt. Manches ihrer stets unkonventionellen Interviews mit mitunter weltweit bekannten Persönlichkeiten sorgte für ordentlich Furore, sie hat sich einen echten Namen gemacht.
Wie hat sie das geschafft? Ich vermute, sie hat das dafür nötige Selbstvertrauen entwickelt, das man braucht, wenn man seiner eigenen Vision von sich selbst folgt. Und an mancher Stelle braucht es wohl auch Haare auf den Zähnen, um sich durchzusetzen. Tatsächlich sind wir in der Lage, wirklich Großes zu leisten, wenn die Bedingungen stimmen und man uns lässt. Die wohl berühmtesten für ihre Arbeit bekannten ADHSler sind übrigens Albert Einstein und Steve Jobs, na, wenn das keine Hausnummer ist! Ganz nebenbei: Meine Vermutung ist ja, dass Apple sich genau deswegen durchgesetzt hat, weil Jobs seine Entwicklungen mit ADHS-Blick optimierte.

Nun muss nicht jeder gleich Genie sein, der Hang zur Inselbegabung gehört ja schließlich den Asperger-KollegInnen. Aber mit unserem Hang zur Hingabe sollte es eigentlich immer dazu reichen, einen guten Job zu machen.

Chancen der Arbeitswelt sehen – den eigenen Stärken vertrauen

An dieser Stelle nun die Notwendigkeit zur Innenschau, wie war es denn bei mir?
Dazu vorab: Ich arbeite inzwischen seit ca. 10 Jahren an meinem Platz, als Quereinsteiger im sozialen Bereich mit Wohnungslosen. Ich konnte diesen Posten für alle Beteiligten sinnvoll ausgestalten und optimieren, mir einen Namen machen und vielen hundert Menschen helfen.

Ohne Medikation, wage ich zu behaupten, wäre dies mir nicht gelungen. Ich habe erfolgreich eine kaufmännische Ausbildung absolviert, die ich damals nur begann, weil ich es verschusselt hatte, Studienunterlagen fristgerecht abzugeben. Mein Abi war übrigens so'n klassisches Ach-und-Krach-Abi, allerdings mit verlässlichen 12-15 Punkten in den mir zusagenden Fächern, und einer Jahrgangs-Wiederholung aufgrund zu vieler 0-3-Punkte-Ergebnisse in Fächern, die nicht mein Interesse erwecken konnten.
Ich habe versucht zu studieren, es aber nie zur Zielgeraden geschafft, zu viel anderes Interessantes gab es zu jener Zeit in der Welt zu entdecken.
Ich war Werbetexter, grandioser Callcenter Agent, habe in der ambulanten Krankenpflege gearbeitet und das Bewusstsein, dass „Omchen“ Meyer morgens auf ihren Milchbrei wartet, minimierte dabei meine notorische "Zuspätkommerei".
Ich habe Kleingewerbe angemeldet, Konzerte, Partys und Lesungen organisiert und über die Jahre eine Menge Ehrenamt gemacht, aus dem früher oder später etwas Jobmäßiges wurde. Ich schrieb und schreibe für allerlei Publikationen, die sich (nicht nur) für Musik, Hunde oder ADHS interessieren.

Ich habe aber auch von hier auf jetzt Jobs gekündigt, in denen ich feststellen musste, dass ich nicht bereit war, für den Chef das Geld zu verdienen. Ich habe spontan Jobangebote angenommen, ohne vorher auch nur irgendetwas zu prüfen, zum Glück ist alles gut gegangen...
Den meisten KollegInnen werde ich wohl in angenehmer Erinnerung bleiben; immer eine Idee, stets hilfsbereit, nie karrieregeil ... Manch einem werde ich wohl aber ein Dorn im Auge gewesen sein, zumal ich in Dienstbesprechungen und Supervisionen nicht schweige und gern dem Hang nachgebe, Finger in Wunden zu legen. Manche tragen dies einem lange nach.

Gefahren erkennen und gegensteuern

Leicht bin ich in dieser Hinsicht auszuhebeln. Manipulative Kollegen, dumme Ränkespiele, Karrierismen im Sinn, Geltungsdrang, Überkorrektheit, Chefs, die ihre Fürsorgepflicht missachten und schwupp, ist der Ärger da. Im schlechtesten Fall schalte ich dann in den Kriegsmodus. Lange Krankheitsphasen drohen, wenn man die Störung unbearbeitet wuchern lässt. Grübelschleifen und die Unfähigkeit abzuschalten, können die Folge sein. Derlei Spiralen führen unweigerlich in den Burn-out, was weitaus dramatischer ist, als sämtliche Unlust- / Prokrastinations- / Laissez-faire-Kindereien, die man aus Schule und Ausbildung kennt. Und wenn es zuhause so gar nicht stimmt, wähne ich mich erst recht nicht arbeitsfähig, zu sehr hyperfokussiere ich dann auf den Kern meines Daseins, meine Partnerin und die Familie.

Manchmal ist es die Tagesform, die darüber entscheidet, wie angemessen ich z. B. auf eine Email antworte. Dies bekam der werte PR-Mann des diesen Blog betreibenden Unternehmens bereits zu spüren, als er meinen Ärger über dieses und jenes abbekam, obwohl mein angestauter Ärger vom Tage doch mit ziemlicher Sicherheit wem anderes galt. Und, na ja, um ehrlich zu sein – und das will ich ja sein und bin ich hier – die für den Dezember terminierte Bearbeitung dieses Themas blieb ungewöhnlich lang liegen. Man sollte dies wohl als Sinnbild für die Unliebsamkeit dieses ganzen Zwang und Unfreiheit beinhaltenden Arbeits-Themenkomplexes deuten.

Sorry seems to be the hardest word ...

Mit derlei Ausfällen muss wohl rechnen, wer mit ADHSlern arbeitet. Ein dickes Fell und Gelassenheit sind in dieser Hinsicht von Nöten, oder besser noch: Aufklärung. Und natürlich Aufrichtigkeit.
Wie oft habe ich Mails hinterhergeschickt, um vorherige Impulsiv-Mails zu relativieren...
Nicht in der Wut, in der Zugewandtheit liegt das wahre Wort, eine Weisheit, die man stets im Hinterkopf haben sollte im Umgang mit uns. Wir meinen es nicht so, was wir sagen, wenn wir wütend sind, auch wenn meist ein oder ein paar Körnchen mehr Wahrheit in dem steckt, was wir so raushauen, wenn der Tag lang und widrig ist.

Das Wort zum Schluss

Unterm Strich gilt für die Jobsuche: Nur nie aufgeben! Lieber nach der eigenen Berufung, als nach einem passenden Beruf suchen! Ist die Passion gefunden, findet sich auch ein Tätigkeitsfeld in dem Bereich - was glauben Sie, wie ich zu diesem Blog gekommen bin? So richtig gut war ich immer in den Dingen, denen eine intrinsische Motivation zugrunde lag, die mich also leidenschaftlich interessierten. Meistens ergab sich dort dann auch die Möglichkeit, Geld zu verdienen. Muss ja nicht für immer sein. Das nächste Thema kommt bestimmt. Achten Sie aber darauf, dass Sie nicht jünger werdend, ein ruhiger Hafen fürs Alter macht Sinn. Ich rate spätestens ab dann zu einem kuscheligen Angestelltenverhältnis. Aber ich habe gut Reden, ist mir das meiste doch quasi in den Schoß gefallen. Ist wohl so: Ein gesundes Vertrauen in die Fügung kann ein mächtiger Verbündeter sein.
Energy flows where attention goes, das war immer so.
Also immer gut Obacht wohin mit der wertvollen Ressource Aufmerksamkeit, immerhin vermag sie wahre Wunder zu bewirken.

Vielleicht klappt es ja, dass der Hyperfokus zum Prototyp des Visionären wird. Finden Sie's heraus!

ADHS bei Erwachsenen

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Über mich 

Hallo, mein Name ist Adam Beyer*. Ich bin Mitte vierzig und ich habe vor ca. 12 Jahren ADHS diagnostiziert bekommen. In diesem Blog erzähle ich über die Zeiten vor und nach der Diagnose.

Von meinem folgenden Text und den kommenden Blogtexten sind keine wie auch immer definierte „wissenschaftliche oder medizinische Darstellungen und Erklärungen“ zu erwarten, vielmehr jedoch ein aufrichtiges Bemühen um Wahrhaftigkeit. Ich schreibe, wie ich bin, wie ich fühle, wie es mir persönlich erging oder ergeht. Im Norden des Landes, im dörflichen Speckgürtel einer Kleinstadt, in der ich „meine“ berufliche Nische im sozialen Bereich gefunden habe, lebe ich als Teil eines unkonventionell gewachsenen „Patchwork-Geflechts“, meiner Familie.

* Der Name des Blog-Autors wurde zum Schutz der Person geändert.

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