ADHS & Diagnose
Den Zeitpunkt meiner Diagnose betrachte ich als einen großen Wendepunkt meines Lebens!
Es gibt definitiv ein Davor und ein Danach. Wie so oft waren die damaligen Begleitumstände eher dramatischer Natur. Wieder einmal war ich in der Psychiatrie erwacht und hatte keinen Schimmer, wie ich dort gelandet war. Allerdings wusste ich genau, weshalb: Nach einigen, in dieser Hinsicht eher ruhigen Jahren, war es zu einem Rückfall gekommen. Bis zur Geburt meiner Kinder waren Alkohol und diverse andere Substanzen meine regelmäßigen Begleiter geworden: Heute weiß ich, dass meine Suchtmuster zu den gängigsten Folgeerkrankungen rund um ADHS gehören. Letztlich handelte es sich bei meinem Konsum um reine Selbstmedikation, die im Laufe der Jahre zwangsläufig außer Kontrolle geraten war. In jungen Jahren noch wie eine Flipper-Kugel unterwegs, konnte ich aufgrund meines Vaterdaseins zwar eine weitestgehend bürgerliche Existenz aufbauen, aber mitunter brach ich ein. Dann half nur noch die Klinik, Schlimmeres zu verhindern. Irgendwie lief es nie einfach mal nur rund, nie kam ich zur Ruhe, immer war irgendwas.
ADHS – plötzlich passte alles zusammen
Zum Glück hatte mir der mutige junge Arzt noch ein paar Namen von Personen genannt, an die ich mich wenden könne, um dieser Spur nachzugehen. Das tat ich dann auch. Denn als er seinen Verdacht aussprach, fügte sich plötzlich alles zusammen! Wieso versank mein Leben immer wieder im Chaos? Warum war es mir nicht möglich, einfachste Dinge hinzubekommen?
Ich war andererseits doch auch in der Lage, bei Begeisterung und Interesse enorme Energien aufzubringen und Gewaltiges zu leisten. Wieso fühlte ich mich dauerhaft getrieben und kam nie zur Ruhe, fuhr tagtäglich emotional Achterbahn und trieb vor allem die mir nächsten Menschen zur Verzweiflung mit meiner Art?
„Mit Dir kann man die schönsten und fürchterlichsten Momente aller Zeiten erleben“, sagte mal eine längst verflossene Liebe zu mir. „Wäre es nicht schön, wenn Du mal, anstatt dauernd in Extremen zu leben, alles in etwas moderatere Bahnen lenktest?".
Wollte ich auch, konnte ich aber nicht. Früher oder später ging es immer wieder los: der Stress, der mich komplett übermannende Zorn wegen irgendwelcher Kinkerlitzchen. Aus der Vogelperspektive betrachtet, war es vor allem die Unmöglichkeit, planvoll und strukturiert das eigene Leben zu gestalten.
Der Alltag – meine ganz persönliche Katastrophe
Da gab es Verhaltensweisen, die man noch als skurril oder exzentrisch abtun konnte, wie z.B. mein Essverhalten. Hatte ich erst einmal eine neue Lieblingsnahrung entdeckt, ernährte ich mich ausschließlich davon. Von regelmäßigen Mahlzeiten konnte allerdings keine Rede sein. Ich war doch ziemlich gut darin, einengende Konventionen wie Uhrzeiten, Wochentage und etwas mir so Fremdartiges wie einen regelmäßigen Tag-Nacht-Rhythmus so weit möglich zu ignorieren und zu unterlaufen - sehr zum Leidwesen von Lehrern, Arbeitgebern und leider auch Freunden.
Es konnte passieren, dass ich mit dem dringenden Wunsch erwachte, mir eine bestimmte Sache zu besorgen, weil ich sie plötzlich unbedingt brauchte.
So unbedingt, dass sämtliche Verpflichtungen in Vergessenheit gerieten und ich mich unter Ignoranz aller Kosten und Mühen in die nächste große Stadt aufmachte, um dort sämtliche Läden nach dem ultimativen kulturellen Artefakt meines aktuellen Begehrens zu durchsuchen.
Man kann ahnen, was die Eröffnung der größten „Bedürfnisbefriedigungsmaschinerie" der Welt, dem Internet, bei mir auslöste und anrichtete, zumal die Zeiten des bargeldlosen Zahlens angebrochen waren.
Meine Zukunftsperspektiven
Mit Begeisterung stürzte ich mich in die Exploration der Dimensionen jenes faszinierend stimmigen Erklärungsmodells für die ewige Achterbahnfahrt, die auf sämtliche Bereiche meines Lebens, ja den Kern meiner Existenz selbst Einfluss haben, und die ich mein Leben nannte.
Von nun ab sollte ich nicht länger immerzu auf dessen Überholspur vergeblich im Kreise irrlichtern, sondern zielstrebig voran gehen, dorthin, wo das eigene, innere Licht dich hinführt.
Was hier wie ein Vers aus dem Gebetbuch klingt, meint allerdings eher das Gegenteil von der Hoffnung, dass irgendeine andere metaphysische Entität – also so etwas wie der Staat oder Gott oder die Medizin oder die Zeit – es schon für einen richten werde. Neinneinnein!
Kann sein, dass dich jemand zu wecken versucht. Aufwachen aber kannst du nur ganz allein, das nimmt dir niemand ab. Das musst du schon selbst erledigen.
Ich jedenfalls entdeckte endlich die Selbstwirksamkeit für mich, erkannte mich, entwickelte Resilienzen, bildete, änderte und entwickelte mich.
Der selbst-benachteiligende Charakter mancher meiner Verhaltens- und Sichtweisen wurde mir dauerhaft bewusst, Alternativen manifestierten sich und ich lernte die Vorzüge von ADHS schätzen.
Unserer Intuition können wir für gewöhnlich vertrauen. Eile, wo Eile geboten ist! Für uns kein Problem, darin brillieren wir. In so genannten Akut-Situationen, also da, wo es brenzlig und gefährlich wird, funktionieren wir. Im limbischen System kennen wir uns aus, das macht uns schon lange keine Angst mehr.
ADHS macht uns zu seismographischen Störungsmeldern und hypersensiblen Dauerscannern, die für alles einen Ausweg finden.
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