Wie und wann wurde deine Diagnose „ADHS“ gestellt?
Ich habe meine Diagnose relativ früh erhalten. Ich glaube, das muss so in der 2. oder 3. Klasse gewesen sein. In der Grundschule war ich immer hibbelig und fiel häufiger durch Gewaltkonflikte auf, da ich oft sehr impulsiv und aufbrausend gehandelt habe. Neben meiner Lese-Rechtschreibschwäche konnte ich mich nur schwer auf eine Sache konzentrieren und war immer zappelig und sogar etwas zittrig. Deshalb wurde ich auch des Öfteren aus dem Unterricht geworfen. Infolgedessen haben meine Lehrer meinen Eltern empfohlen, mit mir einen Kinderpsychologen aufzusuchen. Dort wurde dann die Diagnose gestellt: ADHS. An den Prozess der Diagnose kann ich mich heute kaum noch erinnern. Ich kann mich aber erinnern, dass ich kurz medikamentös eingestellt wurde. Jedoch wehrte sich meine Mutter dagegen, weshalb die Behandlung abrupt abgebrochen wurde.
Welche Vorteile deiner ADHS schätzt du?
Ich mag meine kommunikativen Fähigkeiten. Ich rede unglaublich gerne und glaube, dass mir das auch ganz gut liegt. Im beruflichen Kontext - als Mitarbeiter im Vertrieb - kann ich mir diese Eigenschaft sehr zu Nutze machen. Eine weitere positive Eigenschaft vieler ADHSler ist außerdem eine hohe emotionale Intelligenz. Wir sind sehr einfühlsam, verständnisvoll und hilfsbereit. Davon profitiert auch das nähere Umfeld oft sehr. Außerdem werden vor allem in meinem Freundeskreis meine kreative Herangehensweise und meine Art zu denken geschätzt. Durch meine Kreativität schreibe ich auch gerne und würde behaupten, dass ich auch darin trotz meiner Lese-Rechtschreibschwäche nicht schlecht bin. Das hat mir mein Studium etwas erleichtert. Obwohl es trotzdem für mich eine ziemliche Herausforderung war, die Uni und meinen Nebenjob unter einen Hut zu bekommen. Fluch und Segen zugleich ist das risikoreichere Handeln. Manchmal ist es cool, wenn man sich nicht ständig über die Zukunft Gedanken macht und sich auch mal etwas traut. Das ist aber natürlich auch mit einigen Risiken verbunden.
Was würdest du anderen ADHS-Betroffenen mit auf den Weg geben?
Bleibt dran und gebt euch selbst nicht auf. Das klingt zwar kitschig - es stimmt aber auch!
Ich war selbst in der unglücklichen Situation, als ich meinen Hauptschulabschluss mit 4,0 bestanden habe und sehr plötzlich Erwachsen war und vor der Frage stand, ob ich mein Leben nun verspielt habe. Allerdings hatte der Anti-Aggressions- und Drogentrainer auf dem Schwererziehbaren-Internat einen ähnlichen Werdegang wie ich. Er ist mir nachhaltig im Kopf geblieben und hat mich beeindruckt. Dass er studiert hatte, motivierte mich und bestärkte mich in der Entscheidung selbst studieren zu wollen. Ich wusste nun, dass studieren trotz schwierigem Lebenslauf möglich ist. Also habe ich eine Ausbildung angefangen und durch diese meinen Realschulabschluss erhalten. In der Abendschule habe ich dann mein Abitur nachgeholt und mich anschließend für ein Studium beworben. Vergangenen Monat habe ich meine Bachelorarbeit abgegeben und mein Studium damit erfolgreich abgeschlossen. Nach meinen zahlreichen Schulverweisen hätte ich nicht gedacht, dass ich dazu fähig bin. Aber ich habe es geschafft!
Und einen Rat habe ich noch für alle Eltern: Ihr seid nicht an der ADHS eurer Kinder schuld. Also macht euch keine Vorwürfe und versucht trotz allem, bedingungslos hinter euren Kindern zu stehen.
* Der Name und das Auftreten wurden zum Schutz der betroffenen Person geändert.
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