Wie haben sich die ADHS-Symptome bei dir geäußert und wie äußern sich diese heute?
Früher habe ich mich immer in meinen Gedanken verloren und habe vor allem in der Schule oft aus dem Fenster gestarrt. Ich war unordentlich, hatte extreme Prüfungsangst und war schnell mit Dingen überfordert - vor allem wenn es um etwas komplexere Themen ging. Auch wenn ich eine Aufgabe vor mir hatte, die ich einfach hätte lösen können, fiel es mir sehr schwer einen Lösungsansatz zu finden und die Überforderung ging schnell in Verzweiflung über. Im Grunde sind die Symptome auch im Erwachsenenalter noch sehr ähnlich. Die Symptome äußern sich heute natürlich anders, weil es früher hauptsächlich in Bezug auf Schule und Lernen aufgefallen ist. Alles was damit zu tun hat, dass ich eine Leistung erbringen muss – wie zum Beispiel Haushaltsaufgaben, überfordert mich zum Beispiel immer noch. Ich denke dann nicht strategisch und überlege mir, wie ich es am besten aufteilen kann, sondern sehe nur den Haufen Arbeit und verzweifle. Das Anfangen fällt mir dabei am schwersten. Ich versinke dann in Gedankenspiralen und springe im Kopf von einem Thema zum nächsten. Ich denke dann an tausende Dinge mehr oder weniger gleichzeitig - als hätte ich im Kopf ganz viele Computer-Tabs offen, in denen ich hin und her springe. Wenn ich wiederum für meine Kinder oder ganz „fremde“ Menschen etwas organisiere oder plane, klappt das komischerweise ganz gut und macht mir Spaß. Das ist für viele unerwartet. Auch auf meine berufliche Laufbahn hatte die AD(H)S Auswirkungen. Ich habe vieles, was ich angefangen habe, nicht zu Ende gebracht. Das liegt mitunter daran, dass ich nicht sonderlich kritikfähig bin. Ich gewichte Kritik viel zu stark, sodass diese mich nicht so schnell loslässt.
Wie hat dein Umfeld auf die Diagnose ADHS reagiert und wie seid ihr damit umgegangen?
Die Diagnose war für mich erst nicht toll. Ich war in der Pubertät und habe mich ohnehin schon nicht wirklich zugehörig gefühlt. Für mich war es schwierig zu verstehen, dass die Diagnose AD(H)S nicht bedeutet, dass ich „unnormal“ bin. Meine Eltern waren aber immer sehr verständnisvoll, haben mich unterstützt und sich sehr viel über die Störung informiert. Meine Mutter war sogar bei Selbsthilfegruppen, um auch mit anderen Betroffenen zu sprechen. Die Freundin von meinem Opa war da ganz anders. Sie hat meiner Mutter immer Zeitungsartikel mitgebracht, die die Diagnose widerlegen sollten und hat auch immer versucht uns auszureden, dass es AD(H)S wirklich gibt.
Als ich meinen Mann kennengelernt habe, habe ich direkt offen mit ihm darüber gesprochen. Er hat sich dann darüber informiert und sogar einen Ordner angefertigt mit allen Informationen, die er zu AD(H)S finden konnte. Das war niedlich. Ich gehe heute allgemein sehr offen mit der Erkrankung um und bekomme meist auch sehr positives Feedback dafür.
Welche Vorteile deiner ADHS schätzt du?
AD(H)S ist eine besondere Art zu sein. Viel zu oft geht es um die Probleme von AD(H)S, aber es gibt auch so viele Dinge, die uns AD(H)Sler ganz besonders machen. Ich liebe meine Kreativität, meinen Ideenreichtum, meinen Gerechtigkeitssinn und meine Spontanität. Ich bin zwar manchmal antriebslos, aber sobald ich eine neue Idee habe, holt mich das ganz schnell aus einer kleinen depressiven oder antriebslosen Phase. Außerdem würde ich mich wie viele AD(H)Sler als sehr hilfsbereit einschätzen, was ich auch meinem ausgeprägten Gerechtigkeitssinn zu verdanken habe. Auch der Hyperfokus ist für mich ein toller Aspekt meiner AD(H)S – sowas wie meine Superkraft. Vor allem wenn ich etwas Kreatives mache, kann ich mich stundenlang damit beschäftigen. Für andere ist das manchmal etwas störend, vor allem wenn ich mich mal wieder an neuen Backideen probiere und dann den ganzen Tag in der Küche verbringe. Was ich außerdem besonders an meiner AD(H)S schätze, ist die Möglichkeit mich komplett in meinen Gedanken zu verlieren. Dann kann ich komplett abschalten und kann alles, was passiert ist verarbeiten.
Was würdest anderen ADHS-Betroffenen mit auf den Weg geben?
Wenn ihr die Diagnose AD(H)S schon bekommen habt, informiert euch darüber. Sprecht auch mit anderen Betroffenen, sammelt Erfahrungen und tauscht euch aus. Dabei merkt ihr schnell, dass ihr nicht allein seid und viele es mit ähnlichen Herausforderungen zu tun haben. Für mich war es wichtig herauszufinden, was die Symptome meiner AD(H)S sind. Das Thema Hyperfokus war mir vorher gar nicht so bekannt und fand ich besonders spannend. Macht euch auch bewusst, welche Kompetenzen ihr habt. Viele AD(H)Sler geben sich auf - mir ging es zwischenzeitlich auch so. Denkt also lieber darüber nach, worin ihr gut seid und was die positiven Seiten eurer AD(H)S sind. Lasst euch nicht einreden, dass ihr faul seid oder nichts könnt! Ihr seid super, wie ihr seid!
Und für alle die vermuten AD(H)S haben zu können, informiert euch und lasst es untersuchen. So habt ihr die Gewissheit. Und diese kann eine große Erleichterung sein.
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