ADHS & Musik

Adam* spricht über seinen Weg zur ADHS-Diagnose und seinen Hyperfokus

Wie und wann wurde deine Diagnose „ADHS“ gestellt?

Die Diagnose ADHS habe ich erst als Erwachsener mit Mitte 30 erhalten. Als ich in der Entgiftung nicht in die üblichen Schemata der Behandler passte, stellte ein junger Arzt die Verdachtsdiagnose ADHS, nachdem er sich meine Biografie angehört hatte. Für mich fügten sich zu diesem Zeitpunkt schon alle Puzzleteile zusammen. Das passte einfach perfekt. Die endgültige Diagnose habe ich dann einige Monate nach der Überweisung ins Universitätsklinikum Hamburg erhalten, nachdem die Anamnese abgeschlossen war. Ich war in dieser Zeit natürlich neugierig auf die Möglichkeiten, die mir mein Leben erleichtern könnten, und auch sehr ungeduldig. Aber das Warten hat sich gelohnt!

Wie haben sich die ADHS-Symptome bei dir geäußert und wie äußern sich diese heute?

Schon als Kind gab es bei mir Auffälligkeiten. Da ADHS auf dem Dorf allerdings noch ein Fremdwort war, galt ich einfach als ein wildes Kind. Und das wilde junge Kind wurde zu einem wilden jungen Mann, der keine Grenzen kannte. Ich war aufmüpfig und impulsiv, konnte mich nicht selbst organisieren und habe mich ausschließlich mit den Dingen auseinandergesetzt, die für mich wichtig waren. Mein Suchtmittelkonsum, das schlechte Haushalten mit Geld, ständige Jobwechsel und meine Impulsivität haben sich schnell gegen mich gerichtet. Vater zu werden, war der erste Wendepunkt in meinem Leben. Aber ich bin immer noch an meine Grenzen gestoßen. Erst seit der Diagnose und entsprechenden Therapie zieht sich endlich ein roter Faden durch mein Leben. Ich habe einen Job in der Obdachlosenhilfe, der mich glücklich macht, habe gelernt mich selbst zurückzunehmen und habe auch meine Gefühle besser unter Kontrolle. Ich bin zwar immer noch ein Chaot, aber es lässt sich heute aushalten.

Wie hat dein Umfeld auf die Diagnose ADHS reagiert und wie seid ihr damit umgegangen?

Meiner Schwester ging es wie mir – plötzlich machte alles Sinn. Für sie war es unfassbar, dass ihr das als Sonderpädagogin mit ADHS-Erfahrung nicht selbst aufgefallen ist. Meine damalige Partnerin war vor allem sehr erleichtert. Die Wesensveränderung ist ihr am meisten aufgefallen. Für mich war entscheidend, dass das Bedürfnis Alkohol und diverse andere Substanzen zu konsumieren auf einmal nicht mehr da war. Ich hatte das seit der Geburt meiner Töchter schon unter Kontrolle, allerdings kam es immer wieder zu Rückfällen, die seit meiner Diagnose deutlich nachgelassen haben. Ich habe zwar immer noch Eigentümlichkeiten aller Art – konnte aber mein Leben leichter strukturieren und war deutlich gesellschaftsfähiger. Das hat mein Umfeld mir sehr gedankt. Meine Kinder haben mir gesagt, dass ich immer ein guter Vater war und genug Struktur bieten konnte. Sie haben es mal schön auf den Punkt gebracht und gesagt, dass ich völlig anders bin als die meisten anderen Eltern, die sie so kennen. Dinge, bei denen andere Eltern sich aufregen, nehme ich gelassen. Und bei neuralgischen Punkten, bei denen vermutlich niemand sonst etwas sagen würde, empöre ich mich. Was ich meinen Kindern mitgeben wollte, war, dass sie sich immer für sich einsetzen und auf ihre Wahrnehmung vertrauen sollen. Und das habe ich, glaube ich, geschafft.

Welche Vorteile deiner ADHS schätzt du?

Es wird immer gesagt, dass ADHSler extrem leicht ablenkbar sind. Umgekehrt ist es allerdings viel prägnanter. Wenn mich ein Thema interessiert, sauge ich im Hyperfokus alles auf, was ich dazu finden kann. Das merke ich auch in meinem jetzigen Job in der Obdachlosenhilfe. Bei Unwägbarkeiten profitieren viele ADHSler – wie auch ich – von ihrem Improvisationstalent. Wir ADHSler haben ein gutes Gespür, wenn man schnell intuitiv handeln muss. Das kreative Element ist entscheidend. Ich vergleiche das gerne mit Domino. Ich weiß oft, welchen Stein ich anstoßen muss, damit dieses oder jenes passiert und wie ich so mein Ziel erreichen kann. Bei mir ziehen sich zwei Themen durchs Leben. Das ist zum einen die Liebe zu Hunden. Da Hunde unverstellt sowie grundehrlich sind und einen nicht defizitär sehen, eckt man als ADHSler nicht an – Hunde sagen nicht „Seit doch mal ruhig“. Das ist vermutlich auch der Grund, weshalb ich Hunden schon in der Kindheit nahe war. Zum anderen begleitet mich die Musik auch schon mein Leben lang. Durch Musik habe ich einen Zugang zu mir geschaffen. Ich bin viele Jahre ein totaler Musiknerd gewesen. Und dabei war die Musikrichtung völlig obsolet. Von Punk über Techno bis hin zu Grunge oder akustischer und ruhiger Musik – für mich waren alle Musikrichtungen interessant. Auch wenn ich heute noch etwas Neues entdecke, bin ich total begeistert. Inzwischen ist es eigentlich eher so, dass meine eine Tochter, die viel Musik hört, mich mit neuer Musik versorgt, die ich sonst nicht finden würde. Dafür kann ich ihr Musik aus den 60ern, 70ern und 80ern zeigen - inklusive Referat zum Interpreten und der Geschichte. Heute hilft mir Musik bei der Stimmungsregulierung.

Was würdest du anderen ADHS-Betroffenen mit auf den Weg geben?

Macht eure eigenen Erfahrungen und lasst euch nicht von Vorurteilen verunsichern. Das wichtigste ist die Auseinandersetzung mit dem Thema – auf welche Art auch immer. Ob das über Verhaltenstherapie, Bücher, das Internet oder Selbsthilfegruppen passiert. Man sollte alles mitnehmen, was geht und ein Bewusstsein dafür entwickeln, wie man tickt. Dafür muss man bis zur Schmerzgrenze ehrlich mit sich sein. Sonst bringt das nichts. Der Wille zur Änderung sollte da sein, wenn ein Leidensdruck existiert. Weiterentwicklung ist eine schöne Erfahrung, also seid offen für Veränderungen und schafft ein Bewusstsein dafür. 
Meine schönste Erfahrung: Es gibt ein davor und danach. 
Danach kam Beständigkeit in allen Lebensbereichen und das ist ein großes Geschenk.
Und für alle Angehörigen: Es gibt ein Licht am Ende des Tunnels. Das Leben mit einem ADHSler funktioniert nicht stromlinienförmig - es bleibt spannend und intensiv.

* Der Name wurde zum Schutz der Person geändert.

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