Urlaub – in der Vergangenheit
Ich hatte selbst so eine Zeit. Hyperfokussiert auf die Arbeit war ich der Illusion erlegen, dass diese mein wahres Leben wäre, so dass, sobald der brav vorgeplante, eingereichte und von „Oben“, jener ominösen Entität, die wir im allgemeinen „Personalabteilung“, „Buchhaltung“, oder „Geschäftsleitung“ nennen und auf die wir nicht wenige hoheitliche, lebensbestimmende Rechte übertragen haben, abgesegnete Urlaub anzutreten war, ich in ein Loch fiel.
Üblicherweise fand sich dann eine mehr oder weniger an den Haaren herbeigezogene Problematik, die es einem ja unmöglich machte, tatsächlich loszulassen, sondern stattdessen von zu Hause noch E-Mails schreiben, Telefonate führen, Texte verfassen und das Diensthandy nicht ausschalten zu müssen. Wie konnte ich nur so dumm sein!
Zum Glück, wie ich heute sagen kann, war dieser Versuch der Vollanpassung an das ans Leistungsprinzip gebundene „Arbeitnehmer-Herdensystem“ von Vornherein zum Scheitern verurteilt, so wie es das immer ist, wenn Menschen mit unserer speziellen Mentalstruktur versuchen, sich was vorzumachen, wenn es um die Selbstverortung im grünen Bereich geht, obwohl alle Anzeichen, Fakten und zum leise Flüstern genötigten inneren Stimmen dagegen sprechen. Nach dem Ringen gegen die Realität, dass man ja bekanntlich nie gewinnen kann, folgte der Burnout. Mehrmonatiges Zwangspausieren, das mit der Zeit, umdenken hilft, zum Extraurlaub mit der Chance, sich selbst zu finden, avancierte.
Als Kind bedeutete Urlaub (damals nannte sich die vom Staate dem Bürgerkinde selbst zur freien Verfügung gestellte Zeit natürlich noch „Ferien“) vor allem: Lange wach bleiben! Kein Einschlafzwang, weil man ja am nächsten Tag zur Schule müsse. Stattdessen draußen toben, quasi so lange man wollte, danach lesen bis zum Morgengrauen, kurz schlafen, … und weiter!
Urlaub – jetzt und heute
Heute ist das im Prinzip immer noch so. Urlaub gibt mir außerdem das Recht, die ganze Nacht vor der Playstation zu versacken, oder beim „Binge Watching“ morgens um 3 Spiegelei zu brutzeln.
Ich kann nach durchwachter Nacht sehr früh morgens mit den Hunden Joggen gehen oder an den Strand und mich danach im Liegestuhl kurz Schlafen legen, bis ich liebevoll zum Frühstück aus meinen Schäfchenwolkenträumen geweckt werde. Am allerliebsten aber schlüpfe ich zur Dämmerung zu meiner Liebsten unter die Decke, um gemeinsam mit ihr in der Morgenröte alle Zeit zu vergessen. Kein Wecker, der uns aus unserem Glück reißt, keine Eile, keine Pläne, kein Pflichtprogramm, nur Lebenslust und Liebe.
Dass Schlaf nicht meine Sache ist, und schon gar nicht in den üblicherweise dafür vorgegeben Zeiten, ist innerhalb der Arbeitszeiten natürlich immer wieder ein Problem. Da wird ADHS zur Anpassungsstörung und mein mir zu eigener Lebensrhythmus mitunter zum Stressfaktor.
Seit frühester Kindheit ist die dänische Nordsee der Ort, an dem ich am meisten Frieden finde. Als Kind tobte ich – bevor wir alle überhaupt wussten, dass es so etwas überhaupt gibt, machte ich dem H in ADHS schon alle Ehre, an Energie mangelte es mir definitiv nicht, wie man auf vielen alten Familienfotos sehen kann. Raten Sie mal, wer immer derjenige mit hochrotem Kopf, mitten in Bewegung oder sonst wie am Faxen machen ist ... – stundenlang, angetrieben von den nie endenden Geschichten meiner unbändigen Fantasie, als Geheimagent, Cowboy oder Superheld über die Dünen, wanderte tief versunken auf der Suche nach Muscheln, Bernstein oder in Farbe und Form meine besondere Aufmerksamkeit erregenden Steinen über den Strand oder kämpfte mich furchtlos bis tollkühn durch die Wellen. Wie ein kleiner Korken blieb mein Köpfchen meist oben und wenn mich doch eine Welle erwischte und auf den Strand zurückwarf, fühlte ich mich erst recht angestachelt, mich der See zu stellen. Ich liebe es noch heute (und weiß natürlich um das ADHS-spezifische „danger seeking“), das Herzklopfen, wenn die stürmische Nordsee sich mit mächtigen Wellen zur Naturgewalt deklariert, eine Ehrfurcht gebietende Woge nach der anderen brandet heran. Ihr Kamm bricht vor oder über mir, schleudert und schüttelt mich ordentlich durch, dass es eine wahre Freude ist. Mir wurde berichtet, dass ich dann juchze, schreie und durchs Wasser springe, wenn ich ganz eins mit der Natur bin.
Die Nordsee und ich, wir sind gute Freunde.
Urlaub als Fassade für die Flucht vor der Wirklichkeit
Ja, das kenne ich auch. Aus Zeiten, in denen die Komorbiditäten herrschten. 2 Wochen Vollrausch, ohne dass man für die Arbeit unterbrechen muss. Na ja, wenigstens nicht am Ballermann. Hat aber mit ADHS auch nicht viel zu tun, mehr so Volksport geworden für die jungen Leute. Dass ich so etwas mal sagen würde...
Vom Austoben zum Abhängen als ideale Urlaubsvorstellung war es ein langer Weg, so wie es ein langer Weg war, dass sich aus der rastlosen nomadischen Seele, die ich einstmals war, der sesshafte Familienmensch, der ich nun bin, herausschälen konnte. Die Fähigkeit zur Ruhe zu kommen musste mühsam erlernt werden. Ebenso die Fertigkeit, meine Leute nicht in den Wahnsinn zu treiben, wenn es auf Reisen geht.
Was ist geblieben?!
Eines ist aber immer geblieben: Wenn ich mit den Hunden morgens um 5 Uhr an den Strand gehe, habe ich den meist für mich ganz allein, kilometerlang. Keine Menschenseele außer mir, ggf. in Begleitung meiner Liebsten oder/und meiner Töchter.
Nur die Natur, der Wind, die Wellen, der weite Horizont und alle Zeit der Welt. Dann empfinde ich Glück und Frieden. Und möchte nie mehr woanders sein – außer Zuhause.
Ich habe außerdem Hotels schätzen gelernt, aber auch die Matratze hinten im Bus reicht für meine Liebste und mich aus, um ein paar herrliche Tage und Nächte abseits von allem Alltag verbringen zu können – Zeit nur für uns.
Und die ist wichtiger denn je. Denn zuletzt hing der Haussegen schief. Zu wenig schöne gemeinsame Zeiten. Zu viel Stress, zu viel Außen, dass unsere kleine Trutzburg der Liebe mehr und mehr zu bedrängen schien. Alle üblichen Tricks und Kniffe, um die Misere in den Griff zu bekommen, schlugen fatalerweise nicht an. Wir hatten begonnen, uns im Kreise zu drehen, der sich leider als eine Spirale abwärts offenbarte, mein Gefühl, meiner Liebsten ein glückliches Leben bereiten zu können, schwand. Etwas war ganz gehörig nicht in Ordnung. Selbst die therapeutisch begleitete Vergangenheitsbewältigung führte nicht zum gewünschten Erfolg. Mehr und mehr fühlte ich mich durch meine Frau daran erinnert, wie ich selbst einmal war, wenn ihr negatives Empfinden wieder einmal überhandnahm und sie nicht den Weg fand, zurück ans Licht.
Und dann, zu Beginn des Urlaubs, als endlich wieder mehr Zeit füreinander da war, wuchs aus dem Leid eine Vermutung, die sich tatsächlich fachärztlich bestätigen sollte, und alle Puzzleteilchen fügten sich wie damals bei mir: Meine Frau hat AD(H)S!
Mehr demnächst, versprochen!
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